In Sorge- und Umgangsverfahren haben familienpsychologische Gutachten große Bedeutung, weil die Familiengerichte ihre Entscheidungen in der Regel mit den Feststellungen und Empfehlungen der Sachverständigen begründen. Deshalb kann sowohl ein Sachverständiger als auch ein Richter als befangen abgelehnt werden. Ebendies war Kern des Falls vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG).
Hier lief ein Sorgerechtsverfahren zwischen den getrennt lebenden Eltern eines fünfjährigen Kindes. Die Eltern behaupteten voneinander verschiedene psychiatrische Störungen; die Mutter bezichtigte den Vater sogar des sexuellen Missbrauchs des Kindes. Ein Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin sollte dem nachgehen und dem Gericht bei seiner Beurteilung helfen. Parallel dazu leitete die Mutter ein Eilverfahren ein, um den Vater vom Umgang mit dem Kind auszuschließen. In dem Eilverfahren sollte derselbe Gutachter mündlich über seine bisherigen Erkenntnisse berichten, bevor das schriftliche Gutachten fertig war. Der Gutachter legte sich dahingehend fest, dass er keine Missbrauchsanzeichen beim Kind sehe und stattdessen die Mutter für paranoid, wahnhaft und depressiv halte. Er befürchtete einen erweiterten Suizid der Mutter. Daraufhin entschied der Familienrichter im Eilverfahren einen Wechsel des Kindes von der Mutter zum Vater.
Die Mutter hatte die Auswertungsbögen ihrer Tests durch einen Experten prüfen lassen, der die Schlussfolgerungen des Gutachters nicht nachvollziehen konnte. Ihre in den Tests erreichten Werte seien lediglich „leicht erhöht“ statt so dramatisch, wie vom Gutachter mündlich geschildert. Das konnte man als Laie allein aus den Auswertungsbögen nicht erkennen. Einen gegen den Gutachter gerichteten Befangenheitsantrag hatte das Amtsgericht zurückverwiesen, da der Vorwurf fehlerhafter Gutachtenerstellung infolge mangelnder Sorgfalt, unzureichender Sachkunde oder sonstiger Unzulänglichkeiten kein Thema der Unparteilichkeit sei, sondern lediglich die Qualität des Gutachtens rüge. Eine vorsätzliche Täuschung des Gerichts durch den Sachverständigen sei nicht ersichtlich.
Das OLG beurteilte das Befangenheitsgesuch hingegen als berechtigt. Es sei nicht mit Gutachtenmängeln begründet worden, sondern mit dem mündlichen Aussageverhalten des Gutachters, der den Eindruck erweckt habe, die objektiven Tests untermauerten seine subjektive Gesamteinschätzung. Er habe von „einem sehr hohen Wert für Depressivität und paranoides Erleben“ bzw. über „eine deutliche Erhöhung im Bereich der Depression“ gesprochen und dazu die Testauswertung zu Protokoll gegeben. Ohne besondere Sachkunde müsse sich das Gericht daher auf die Erläuterungen des Gutachters verlassen können und hier annehmen, dass die Mutter nicht nur nach der subjektiven Einschätzung des Sachverständigen, sondern auch nach korrekter psychologischer Testung deutliche Auffälligkeiten in den Bereichen „Depression“ und „paranoides Denken“ habe. Allerdings lagen ihre Werte im untersten Bereich der Auffälligkeiten.
Das Beschwerdegericht konnte daher nachvollziehen, dass sich für die Antragstellerin der Schluss ergibt, dass ein Sachverständiger, der bereits in einem mündlichen Gutachten zu ihrem Nachteil unsauber gearbeitet hat, ihr nicht mehr ergebnisoffen gegenübertritt. Ob er sie für das weitere Verfahren neutral und unbefangen begutachten würde, ist für die Beurteilung der Ablehnung ebenso irrelevant wie die Frage, ob er das Gericht vorsätzlich getäuscht habe. Entscheidend ist die aus Sicht der Antragsgegnerin bei vernünftiger Betrachtung begründete Befürchtung, es könnte dem Sachverständigen an der gebotenen Neutralität mangeln.
Hinweis: Mit einem Befangenheitsantrag darf man nicht zaudern: Er muss binnen zwei Wochen nach der Ernennung des Gutachters gestellt werden, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits Vorbehalte gegen seine Person bestehen – oder binnen zwei Wochen, nachdem erkennbar ist, dass er möglicherweise nicht unparteilich arbeitet.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.08.2023 – 7 WF 622/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)