Wenn man nur rechts abbiegen darf, ist es doch wohl logisch, dass man seinen Blick nach links richtet, bevor man sich in den Fließverkehr einfädelt. Wer sich da zusätzlich rechts neben einen einreiht, ist ja wohl selbst schuld, wenn er zu Schaden kommt, sobald man anfährt! Oder etwa nicht? Das Landgericht Wiesbaden (LG) musste in diesem Fall Recht sprechen – und man ahnt, dass es ganz so schlicht nicht urteilte.
Zwei Autofahrer befanden sich auf einem Tankstellengelände – und um den Fall nachvollziehbar zu machen, ordnen wir diese beiden Verkehrsteilnehmer hier ausnahmsweise den Marken ihrer Fahrzeuge zu. Der beklagte Peugeotfahrer fuhr über das Tankstellengelände Richtung Ausfahrt, an der schließlich auch nur noch rechts abgebogen werden durfte. Doch statt sein Fahrzeug entsprechend weit rechts anzuhalten, um abzubiegen, kam der Mann mit seinem Auto an der Ausfahrt relativ mittig zum Stehen und setzte den rechten Blinker. Der andere Unfallbeteiligte – ein Audifahrer – näherte sich ebenfalls der Ausfahrt und setzte sich rechts neben den Peugeotfahrer, um ebenfalls rechts abzubiegen, als der Peugeotfahrer anfuhr. Es kam zur Kollision. Der Peugeotfahrer war überzeugt, den Unfall nicht verschuldet zu haben, da er zuerst an der Ausfahrt stand und durch Blinken seine Fahrtabsicht angezeigt habe. Dass sich der andere Wagen inzwischen rechts an ihm vorbeigeschoben hatte, sei ihm nicht erkennbar gewesen. Der Audifahrer war anderer Ansicht: Der andere Beteiligte habe so weit mittig gestanden, dass er seinerseits davon ausgegangen sei, sich rechts einreihen zu dürfen. Der Mann im Peugeot hätte sich durch einen Kontrollblick nach rechts vor dem Einfahren in den Fließverkehr noch einmal absichern müssen.
Verstanden? Das LG auch, denn es entschied, dass dem Peugeotfahrer eine Mithaftung von 25 % aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zuzurechnen sei. Zwar sei es richtig, dass an der Ausfahrt nur ein Rechtsabbiegen zulässig war und der Beklagte bereits sieben Sekunden rechts blinkte, bevor es zur Kollision kam. Dennoch sei der Unfall nicht unabwendbar gewesen. Er habe rechts einen sehr breiten Streifen von rund 3,8 m freigelassen, so dass er damit habe rechnen müssen, dass ein anderer Autofahrer diese freie Bahn befährt. Daher hatte er unmittelbar vor dem Einbiegen in den Fließverkehr sicherstellen müssen, dass sich kein anderes Fahrzeug neben ihm befand. Gegen diese Pflicht hatte er daher verstoßen, was ihn zu einem Viertel haftbar gemacht hat.
Hinweis: Beim „Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs ist dann ein Schaden entstanden, wenn die Fahrweise oder eine von dem Betrieb dieses Fahrzeugs typischerweise ausgehende Gefahr zum Entstehen des Unfalls ursächlich beigetragen hat.
Quelle: LG Wiesbaden, Urt. v. 24.11.2022 – 9 S 19/22
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(aus: Ausgabe 04/2023)