Ein Lang-Lkw von rund 25 Metern Länge ist nur mit besonderer Sorgfalt sicher durch den Verkehr zu bewegen. Wenn einem aber ein Pkw querkommt, der augenscheinlich besondere Verkehrssituationen nicht erkennen kann (oder will), treffen sich beide zuerst unangenehmerweise auf der Straße und schließlich – wie hier – vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG). Die Frage war, mit welcher Quote die Haftung auf beide Parteien verteilt wird.
Der Fahrer eines Lang-Lkw wollte rechts abbiegen. Dies jedoch war aufgrund der Größe des Lkw nicht möglich, ohne dafür die zweite Rechtsabbiegerspur mitzubenutzen. Aus diesem Grund hatte sich der Fahrer mittig in die zwei Rechtsabbiegerspuren eingeordnet. Ein Pkw-Fahrer fuhr dennoch links an dem Lkw in der linken der beiden Spuren vorbei und hielt ca. 5 m vor der Haltelinie mit einem Seitenabstand von ca. 75 cm an. Beim Rechtsabbiegen geriet das Zugfahrzeug des Lang-Lkw rund einen Meter in die linke Spur und touchierte den Pkw hinten links. Dessen Halter forderte nun Schadensersatz, den die Versicherung des Brummiefahrers nur teilweise zahlen wollte. Sie war der Ansicht, dass den Pkw-Fahrer ein erhebliches Eigenverschulden treffe. Der Lkw-Fahrer habe aufgrund der Größe seines Fahrzeugs beide Spuren absichtlich „blockiert“, um Kollisionen zu vermeiden. Wenn man sich dann dennoch neben ein solches Fahrzeug stelle, sei man an einem Schaden auch selbst schuld.
Das OLG entschied dennoch, dass den Lkw-Fahrer eine Haftungsquote von 75 % treffe. Diese Quote ergebe sich nämlich zum einen aus der weit erhöhten Betriebsgefahr: Der Lang-Lkw sei aufgrund seiner Länge von 25 m schließlich sehr unübersichtlich. Daher habe der Fahrer beide Spuren belegen müssen. Dennoch schwenke das Zugteil um einen Meter nach links aus, wenn rechts abgebogen werde – auch das erhöhe die Betriebsgefahr und sei dem Fahrer auch bekannt. Obwohl er den Zug mittig positionierte, habe er nicht beide Spuren komplett belegen können. Somit war er sich bewusst, dass er einen Teil der linken Spur nicht einsehen kann. Daher habe er die Pflicht gehabt, sich im Zweifel beim Abbiegen einweisen zu lassen. Da sich der Pkw aber der Haltelinie angenähert habe, obwohl er ein erkennbar sehr großes Fahrzeug wahrnehmen konnte, war das Unfallereignis für ihn nicht unabwendbar – daher traf dessen Fahrer eine angemessene Mithaftung von 25 %.
Hinweis: Bei der durchzuführenden Abwägung (§ 17 Abs. 3 Straßenverkehrsgesetz) der jeweiligen Verursachungsbeiträge am Zustandekommen eines Unfalls kommt es entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. Hierbei ist auch die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeugs zu berücksichtigen. Diese kann durch besondere Umstände erhöht sein, beispielsweise durch eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise. Hier war die Betriebsgefahr des Lang-Lkw dadurch erhöht, dass der Anhänger beim Rechtsabbiegen an seiner vorderen linken Ecke nach links ausschwenkt und der Fahrer aus seiner Position nicht beobachten kann, ob hierdurch der nachfolgende Verkehr gefährdet wird.
Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 11.04.2024 – 2 U 176/22
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(aus: Ausgabe 11/2024)