Wenn ein Elternteil seine Kinder gar nicht mehr sehen darf, hat er sich für diesen Umgangsausschluss meist etwas zuschulden kommen lassen. Dass jedoch auch durch massive Bindungsintoleranz des anderen Elternteils und Beeinflussung des Kindes gelingen kann, dass Jugendamt und Gericht einen Umgangsabbruch mittragen, zeigt der Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).
Die Eltern einer Sechsjährigen hatten sich schon vor ihrer Geburt getrennt. Die unregelmäßigen Umgangskontakte waren von elterlichen Konflikten geprägt. Als nach einem gerichtlich vermittelten Vergleich mit zaghaftem Umgang begonnen wurde, zeigte die Mutter den Vater bereits nach dem ersten Termin wegen sexuellen Missbrauchs an, woraufhin das Gericht die Umgangskontakte begleiten ließ. Eine Gutachterin konnte die Aussagen des Kindes zum sexuellen Missbrauch nicht verifizieren und schloss zuvor beeinflussende Suggestivfragen der Mutter zudem nicht aus. Sie stellte eine positive Vater-Tochter-Beziehung und den Wunsch des Kindes nach Vaterkontakt fest. Dem meist vertrauensvollen, unbekümmerten und fröhlichen Kind bescheinigte sie ausreichende Ressourcen, die Auswirkungen des elterlichen Spannungsfelds abzupuffern. Sehr wahrscheinlich werden die Kompetenzen und Ressourcen des Kindes allerdings überschritten, wenn die Eltern ihren Mustern treu blieben.
Ein daraufhin beauftragter Umgangsbegleiter bescheinigte dem Vater einen guten Umgang mit seinem Kind. Nachdem aus unterschiedlichen Gründen von November 2021 bis Sommer 2022 gar keine (begleiteten) Umgänge stattfanden, sollten diese ab August 2022 weitergehen. Das Mädchen zeigte nun eine zunehmende Verweigerungshaltung, so dass das Jugendamt nach einigen vergeblichen Versuchen im Dezember 2022 entschied, keine Umgangsbegleitung mehr anzubieten. Das Mädchen könne sich aufgrund seines Alters nicht ausreichend gegenüber der bindungsintoleranten Mutter abgrenzen und auf einen Umgang mit dem Vater einlassen.
Auch wenn eine Beeinflussung des Kindes durch die Mutter vorliegen sollte, ist ein Umgang gegen die weiter anhaltende ablehnende Haltung des Kindes mit einer erheblichen Gefahr für die weitere Entwicklung verbunden. Durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit kann ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang unter Umständen mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen. Dabei kommt es laut OLG auf eine mögliche Beeinflussung durch die Mutter nicht an, denn mit den bereits sachverständigenseits getroffenen Feststellungen löst das Kind den bestehenden Loyalitätskonflikt für sich mit einer derzeitigen kompletten Ablehnung des Vaters. Zudem wies das OLG darauf hin, dass die vorliegend fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Jugendamts durch eine gerichtliche Anordnung nicht überwunden werden kann. Dem Familiengericht steht weder gegenüber dem Jugendamt noch gegenüber freien Jugendhilfeträgern eine Anordnungskompetenz zur Begleitung von Umgängen zu. Auch stelle eine Trennung von der Mutter als Hauptbezugsperson mit der zu erwartenden Traumatisierung eine größere Gefahr für die weitere Entwicklung dar als der vorläufig weiterhin fehlende Kontakt zum Vater. Eine solche Maßnahme wäre daher ungeeignet und unverhältnismäßig und deshalb unzulässig. Aus diesen Gründen bestätigte das OLG einen dreijährigen Umgangsausschluss.
Hinweis: In Brechts Drama „Der kaukasische Kreidekreis“ bekommt von zwei streitenden Müttern diejenige das Kind zugesprochen, die aus Mitleid mit dem Kind loslässt und nicht mehr an ihm zerrt. Vor Familiengerichten funktioniert diese salomonische Lösung selten.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.10.2023 – 9 UF 115/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)