Augen und Ohren auf im Straßenverkehr! Denn wenn es blinkt und heult, ist es gut möglich, dass ein Einsatzfahrzeug seine Sonderrechte wahrnehmen will. Im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging das jedoch schief, denn ein Verkehrsteilnehmer hatte die Situation offensichtlich nicht so wahrgenommen, wie es durch die Nutzung der Sondersignale intendiert war. Trifft ihn nun die alleinige Schuld an der Kollision mit dem Einsatzfahrzeug?
Ein Rettungswagen näherte sich mit Blaulicht und Martinshorn einer Kreuzung. Die Ampel zeigte für seine Fahrspur rot. Dennoch fuhr er mit unverminderter Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich ein. Dort näherte sich ein Pkw, dessen Fahrerin die Situation falsch einschätzte und bei Grün in die Kreuzung einfuhr. Es kam zur Kollision im Kreuzungsbereich. Die Klägerin forderte Schadensersatz. Der Rettungswagenfahrer entgegnete, er habe die Sondersignale geschaltet und daher seine Sonderrechte wahrgenommen. Die gegnerische Versicherung ging jedoch von einem Mitverschulden aus.
Das OLG sah den Schuldanteil beider Parteien als gleichwertig an. Zwar sei es richtig, dass Fahrzeuge mit Sondersignalen Vorrang haben und andere Verkehrsteilnehmer den Fahrweg räumen müssen. Wenn es sich jedoch um eine Kreuzungssituation handelt und das Einsatzfahrzeug Rot hat, müsse der Fahrer damit rechnen, dass Querverkehr bei Grün einfahre, weil die Situation falsch eingeschätzt wurde oder die Signale nicht wahrgenommen wurden. Ein Rettungsdienstfahrer darf eine Kreuzung bei Rot nur überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass er von den anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen wird. Ein umsichtiger Fahrer habe hier von einer unklaren Verkehrslage ausgehen und seine Fahrweise anpassen müssen. Daher sei eine Schadensteilung gerechtfertigt.
Hinweis: Nach § 35 Abs. 8 Straßenverkehrs-Ordnung kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeugs am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, desto höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen. Er darf sich immer nur mit einer Geschwindigkeit nähern, die ihm ein rechtzeitiges Anhalten ermöglicht, und nur dann die Kreuzung bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.11.2023 – 17 U 121/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2024)