Ein Erblasser hat unter gewissen Voraussetzungen das Recht, den Berechtigten den Pflichtteil zu entziehen. Bringt der Erblasser später zum Ausdruck, dass er die Verfehlung nicht mehr als so schwerwiegend betrachtet, spricht man von einer Verzeihung, die den Pflichtteilsentzug unwirksam macht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auch gleichzeitig zur Unwirksamkeit einer Enterbung führt.
Der Erblasser hatte im Jahr 2016 eine letztwillige Verfügung errichtet, in der er bestimmt hat, dass er seine Kinder enterbt und ihnen auch den Pflichtteil wegen groben Undanks entzieht. Dieser Verfügung vorausgegangen war eine Auseinandersetzung über die von den Kindern veranlasste Unterbringung der Ehefrau des Erblassers – zunächst bei einem der Kinder und später in einem Seniorenheim. In diesem Zusammenhang war der Erblasser insbesondere der Ansicht, dass die von der Ehefrau den Kindern erteilte Vollmacht, die auch eine Fremdunterbringung beinhaltete, gefälscht sei. Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung wurde dann aber durch ein Gutachten festgestellt, dass es sich um eine von der Ehefrau selbst erteilte Vollmacht gehandelt hatte. Daraufhin erteilte der Erblasser einem seiner Kinder selbst eine umfassende Vollmacht. Nach dem Tod des Erblassers verweigerte das Nachlassgericht die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins jedoch mit der Begründung, dass die Kinder aufgrund des Testaments aus dem Jahr 2016 wirksam enterbt worden seien.
Dieser Ansicht schloss sich auch das OLG im Ergebnis an. Insbesondere führte es aus, dass mit der Vollmachterteilung durch den Erblasser zugunsten eines der Kinder die Voraussetzungen einer Verzeihung nicht vorgelegen hätten. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Erblasser in der Folge des Zerwürfnisses zu einem späteren Zeitpunkt anderweitig testiert hätte. Das hatte er jedoch nicht getan, weshalb – selbst bei Vorliegen einer Verzeihung – nicht automatisch davon ausgegangen werden könne, dass damit auch die Enterbung unwirksam sei. Hierfür wäre erforderlich, dass sich der Wille des Erblassers hätte feststellen lassen, wonach die Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auch gleichzeitig die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen sollte. Dies konnte weder das Amtsgericht noch das OLG im konkreten Fall feststellen.
Hinweis: Die Unwirksamkeit einer Teilverfügung führt nur dann zur Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen, wenn davon auszugehen ist, dass der Erblasser die eine nicht ohne die andere Verfügung getroffen hätte.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.02.2023 – 11 W 94/21
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(aus: Ausgabe 05/2023)