Wer einen überschuldeten Nachlass zu erben droht, kann diese drohende Last rechtzeitig ablehnen und das Erbe ausschlagen. Was aber passiert, wenn man erst danach von Vermögenswerten des Erblassers erfährt, und welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um doch noch in den Genuss der Erbschaft zu kommen, zeigt die folgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Die im Jahr 2021 verstorbene Erblasserin verstarb, ohne ein Testament zu hinterlassen. Nach dem Tod ihrer Mutter schlug die Tochter das Erbe aus, da sie annahm, dass es keine Vermögenswerte gebe und nur Schulden im Nachlass seien. Diese Annahme beruhte auf den chaotischen Lebensumständen ihrer Mutter, die Zeit ihres Lebens an einer Alkoholerkrankung litt und mit der die Tochter seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr hatte. Schließlich schlug auch der Bruder der Erblasserin die Erbschaft aus, ebenso wie dessen Töchter. Das Nachlassgericht setzte daraufhin einen Nachlasspfleger ein, um sich um den Nachlass zu kümmern. Im Februar 2022 erhielt die Tochter ein Schreiben des Nachlasspflegers, in dem sie erfuhr, dass es ein Guthaben von über 72.000 EUR auf einem Konto und einem Sparbuch der Erblasserin gäbe. Die Tochter erklärte daraufhin die Anfechtung der Erbausschlagung, da sie über den tatsächlichen Wert des Nachlasses im Irrtum gewesen sei, und beantragte einen Alleinerbschein. Der Großneffe der Erblasserin widersprach dem Antrag der Tochter und argumentierte, dass die Ausschlagung bewusst erfolgt sei und kein rechtlich relevanter Irrtum vorliege. Zudem habe die Tochter kein Interesse an der Erblasserin gehabt und sich weder um sie noch um den Nachlass gekümmert.
Nachdem zunächst das Nachlassgericht entschieden hat, dass es sich nicht um einen relevanten Irrtum der Tochter gehandelt habe und diese daher nicht berechtigt sei, die Erbschaftsausschlagung anzufechten, hob das OLG diese Entscheidung auf. Es befand, dass die Tochter irrtümlich falsche Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses gehabt habe und daher berechtigt gewesen sei, die Ausschlagung anzufechten. Die Tochter habe ausreichende Nachforschungen über die Werthaltigkeit des Nachlasses angestellt. Auf der Grundlage der Aussage der Polizei über die Todesumstände der Mutter und die Recherchen über den schlechten Zustand der Wohnung sowie der Lebensumstände der Erblasserin sei sie als Erbin zunächst zu dem Schluss gekommen, dass es keine wertvollen Vermögensgegenstände gegeben habe. Der Irrtum über die Existenz des Guthabens auf dem Konto war entscheidend für die Ausschlagung, und die Tochter hätte das Erbe nicht ausgeschlagen, wenn sie davon gewusst hätte.
Hinweis: Unternimmt ein potentieller Erbe hingegen keinerlei Nachforschungen über die Zusammensetzung des Nachlasses und beruhen seine Fehlvorstellungen ausschließlich auf zeitfernen Informationen, liegt wiederum die Annahme eines unbeachtlichen Irrtums nahe.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2024 – 21 W 146/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)