Oft genug muss gerichtlich geklärt werden, was ein Erblasser womöglich gewollt hatte, als dieser schlichtweg unklare oder stark lückenhafte Formulierungen in seiner letztwilligen Verfügung wählte. Im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) verhielt es sich umgekehrt. Hier sahen Nachkommen mehr Raum für eine Testamentsauslegung zu ihren Gunsten, als der Erblasser selbst offengelassen hatte.
Der kinderlose Erblasser hatte eine Schwester und zwei Brüder, die zwar alle vor ihm verstorben waren, aber Nachkommen hinterließen. Der Erblasser verfasste mehrere letztwillige Verfügungen, in denen er insbesondere immer Ersatzerben für den Fall des Wegfalls der benannten Erben einsetzte. 2003 widerrief der Erblasser seine vorherigen Verfügungen und bestimmte einen Bruder zum Alleinerben, dessen Ehefrau zur Ersatzerbin und deren Sohn (also den Neffen des Erblassers) zum Ersatzerben nach der Mutter. In einem weiteren Testament strich der Erblasser nach einem Streit 2020 seinen Neffen als Ersatzerben seiner Mutter. Der als Bruder eingesetzte Alleinerbe war da bereits vorverstorben.
Die Schwägerin des Erblassers schlug die Erbschaft im August 2022 schließlich aus, um keine Grundsicherungsleistungen zu verlieren. Daraufhin beantragte einer der Söhne des als Ersatzerben ausgeschlossenen Neffen die Erteilung eines Erbscheins, der ihn und seine Geschwister als Miterben zu je 1/3-Anteil ausweisen sollte. Er argumentierte, dass die Testamente von 2003 und 2020 dahingehend auszulegen seien, dass der Erblasser nur den Erbenstamm seines Bruders bedenken wollte und der Vater der Geschwister (der einstige Neffe des Erblassers) ja nicht mehr als Ersatzerbe vorgesehen war. Es müsse also im Sinne des Erblassers gewesen sein, dass die in seinem Eigentum stehende Immobilie an die Geschwister – als Enkel des vorverstorbenen Bruders – weitergegeben werde.
Das Amtsgericht lehnte ebenso wie das OLG eine ergänzende Testamentsauslegung ab und wies den Erbscheinantrag zurück. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass es dem Willen des Erblassers entsprochen hätte, dass die Großneffen bei Wegfall der Schwägerin als Erbin zu deren Ersatzerben bestimmt werden sollten. Schließlich sei dem Erblasser aufgrund der vorherigen Verfügungen das Konstrukt der Benennung von Ersatzerben bekannt gewesen. Ihm war also offensichtlich bewusst, dass die Streichung seines Neffen als Ersatzerben (Vater der Antragsteller) entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn die Schwägerin nicht zur Erbin wird. Auch aus dem Umstand, dass der Erblasser zunächst seine Schwägerin als Erbin und deren Sohn als Ersatzerben benannt hatte, kann nicht gefolgert werden, dass hierdurch beim Wegfall eines Erben der nächste im Stamm zur Erbfolge berufen sein sollte. Aufgrund des Umstands, dass der Erblasser seinen Neffen von der Erbfolge ausgeschlossen hatte, sei für eine derartige Testamentsauslegung kein Raum mehr.
Hinweis: Eine ergänzende Auslegung kommt nur dann in Betracht, wenn im Rahmen einer einfachen Auslegung der Erblasserwille nicht ermittelt werden kann. Sie dient dazu, vom Erblasser eigentlich unbeabsichtigte Lücken im Testament zu schließen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 3 Wx 76/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)