Wer sich als Privatperson auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, möchte zumeist Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, direkte Verwandte oder Verschwägerte, Pflegeeltern oder auch Pflegekinder schützen. Bei dieser Ahndung einer Ordnungswidrigkeit ersparten sich Straßenverkehrsbehörde und Kreis aber weitere Gedanken, warum sich eine Fahrzeughalterin mit eben jenem Grund weigerte, als Zeugin an der Ermittlung des Fahrers mitzuwirken. Der daraufhin erteilten Fahrtenbuchauflage machte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG) zu Recht einen Strich durch die Rechnung.
Mit dem Pkw der Klägerin wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 26 km/h überschritten – eine Ordnungswidrigkeit, die regelmäßig mit einem Bußgeld in Höhe von 180 EUR, einem Punkt im Fahreignungsregister sowie im Wiederholungsfall mit einem Monat Fahrverbot geahndet wird. Auf dem Radarfoto war statt der Frau jedoch ein junger Mann als Fahrer zu erkennen. Die schriftlich als Zeugin befragte Klägerin berief sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Nachdem der Außendienst der beklagten Straßenverkehrsbehörde die Klägerin an ihrem Wohnort nicht angetroffen hatte, wurde das Bußgeldverfahren eingestellt. Daraufhin verpflichtete der Kreis die Klägerin, für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Im hiergegen eingeleiteten Klageverfahren machte die Klägerin geltend, der Fahrer sei ihr in ihrem Haushalt lebender Sohn gewesen, und über eine Auskunft der Meldebehörde und einen Abgleich des Tatbilds – etwa mit dessen Personalausweisfoto – wäre es ohne weiteres möglich gewesen, ihn als Fahrer zu identifizieren.
Das OVG hat die Fahrtenbuchauflage aufgehoben und der Klage stattgegeben. Eine Fahrtenbuchauflage kommt nur in Betracht, wenn die Täterfeststellung nach einem Verkehrsverstoß unmöglich gewesen ist. Dies war im vorliegenden Fall nach Auffassung der Richter jedoch nicht der Fall. Der Bußgeldbehörde lag ein klares Tatfoto vor. Dass die Klägerin sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berief, sprach für einen Täter aus dem Familienkreis. Daher hätte es nahegelegen, zumindest bei der Meldebehörde zu erfragen, ob Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin wohnen, die nach Geschlecht und Alter als Fahrer in Betracht kommen. Auf Grundlage dieser Information hätten dann womöglich Lichtbilder aus dem Personalausweisregister für einen Fotoabgleich angefordert werden können. Dies wäre ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen.
Hinweis: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und wenig erfolgversprechende Ermittlungen zu betreiben, wenn der Fahrzeughalter die Mitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person ablehnt und auch sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vorliegen. Naheliegenden und unaufwendigen Ermittlungsansätzen muss die Behörde aber nachgehen.
Quelle: OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 31.05.2023 – 8 A 2361/22
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(aus: Ausgabe 08/2023)