Im diesem Fall waren sich Amtsgericht (AG) und Landgericht (LG) uneins, so dass der Bundesgerichtshof (BGH) zur Entscheidung hinzugezogen werden musste. Die Frage war, ob es einer geschädigten Autofahrerin hätte auffallen müssen, dass die von der Reparaturwerkstatt berechneten 157,99 EUR für Corona-Schutzmaßnahmen zu hoch angesetzt waren? Traf die Klägerin damit etwa ein Auswahlverschulden? Lesen Sie selbst.
Der Pkw der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten stand dabei außer Zweifel. Zur Ermittlung des Schadens am Fahrzeug holte die Klägerin ein Sachverständigengutachten ein. Das Gutachten wies als Teil der Reparaturkosten einen Betrag von 157,99 EUR brutto für Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus aus. Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug reparieren. Die Werkstatt stellte für Corona-Schutzmaßnahmen 157,99 EUR in Rechnung, die von der Klägerin auch beglichen wurden. Der Versicherer lehnte die Erstattung jedoch ab. Während das zunächst angerufene AG der auf Zahlung von 157,99 EUR gerichteten Klage in voller Höhe stattgegeben hatte, war das nächstinstanzliche LG anderer Meinung. Es änderte das Urteil ab und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von lediglich 33,18 EUR. Die daraufhin beantragte Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Der Geschädigten stand grundsätzlich zu Corona-Zeiten ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Desinfektion des Fahrzeugs zu. Jedoch trifft sie auch die Verpflichtung zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise. Verlangt die Werkstatt bei Vertragsschluss Preise, die „für die Geschädigte erkennbar“ deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieser Werkstatt als nicht erforderlich erweisen (Auswahlverschulden). Der BGH führte zudem aus, dass ein verständiger, wirtschaftlich denkender Geschädigter bei der Plausibilitätskontrolle erkennen musste, dass die Kosten von über 150 EUR für Corona-Schutzmaßnahmen deutlich überhöht und in dieser Höhe nicht ersatzfähig seien. Während der Pandemie im Jahr 2020 seien nicht nur im Rahmen einer Fahrzeugreparatur, sondern in allen Bereichen des täglichen Lebens Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt worden. Mit deren Kosten sei in jener Zeit jeder Erwachsene konfrontiert gewesen, für die Prüfung sei daher auch keine besondere Sachkunde nötig gewesen. Die Geschädigte habe daher auch als Laie erkennen können, dass der für die Desinfektion angesetzte Preis evident zu hoch war. Deshalb durfte die Geschädigte auch nicht auf die Prognose des Schadensgutachters vertrauen.
Hinweis: Bei einer laienhaft erkennbar unplausiblen Rechnung ist der Geschädigte durch den subjektbezogenen Schadensbegriff nicht geschützt. Dies hat zur Folge, dass sich die Geschädigte nicht auf das Werkstattrisiko berufen kann. Für diese Kosten greift das sogenannte „Werkstattrisiko“ nicht (BGH, Urt. v. 16.01.2024 – VI ZR 253/22).
Quelle: BGH, Urt. v. 23.04.2024 – VI ZR 348/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2024)