Pflichtteil trotz Fristüberschreitung: Beachtlicher Irrtum über Erbenstellung ist juristischen Laien bei komplexen Fällen nicht anzulasten

Artikel vom 02.03.2023

Die sechswöchige Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Erbe Kenntnis davon erhält, dass er Erbe geworden ist. Im folgenden Fall des Landgerichts Wuppertal (LG) war die Erblasserin bereits im Januar 2015 verstorben. Die Ausschlagung der Erbschaft erfolgte erst im Januar 2019. Dass auch bei einem derart langen Zeitraum eine Ausschlagung noch möglich sein kann, war auf einen beachtlichen Irrtum der Ausschlagenden über ihre Stellung als Miterbin zurückzuführen.

Die sechswöchige Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Erbe Kenntnis davon erhält, dass er Erbe geworden ist. Im folgenden Fall des Landgerichts Wuppertal (LG) war die Erblasserin bereits im Januar 2015 verstorben. Die Ausschlagung der Erbschaft erfolgte erst im Januar 2019. Dass auch bei einem derart langen Zeitraum eine Ausschlagung noch möglich sein kann, war auf einen beachtlichen Irrtum der Ausschlagenden über ihre Stellung als Miterbin zurückzuführen.

Die kinderlos gebliebene Erblasserin hatte im Jahr 1967 mit ihrem ersten Ehemann einen notariellen Erbvertrag aufgesetzt, in dem sich beide gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Zu den Erben des Überlebenden setzten die Eheleute die spätere Adoptivtochter der Erblasserin sowie drei weitere Verwandte zu gleichen Teilen ein. Nach dem Tod des ersten Ehemanns ließ die Erblasserin im Jahr 2005 ein notarielles Testament errichten, in dem sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben einsetzten. Die Adoptivtochter erhielt ein Vermächtnis. Mit einem weiteren notariellen Testament setzte die Erblasserin ihre Adoptivtochter im Jahr 2009 zur Alleinerbin ein. Nach dem Tod der Erblasserin im Jahr 2015 beantragte die Adoptivtochter einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. In einem sich anschließenden Rechtsstreit entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) letztinstanzlich, dass die Adoptivtochter aufgrund des notariellen Erbvertrags aus dem Jahr 1967 und der darin enthaltenen Bindungswirkung lediglich Miterbin geworden sei. Nach Zustellung der Entscheidung des OLG erklärte die Adoptivtochter innerhalb der Sechswochenfrist die Anfechtung der Erbschaft zum Zweck der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Im Kern berief sich die Adoptivtochter darauf, dass sie bis zur endgültigen Entscheidung des OLG davon ausgegangen sei, dass sie Alleinerbin nach der Erblasserin war. Sie habe sich daher über ihre Stellung als Erbin geirrt.

So sah es auch das LG in dem sich anschließenden Rechtsstreit über die Zahlung von Pflichtteilsansprüchen. Die Bindungswirkung aus dem notariellen Erbvertrag sei für eine juristische Laiin nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Die Adoptivtochter konnte nachweisen, dass ihr gegenüber selbst ihr bevollmächtigter Rechtsanwalt die Ansicht vertreten hatte, dass sie aufgrund des Testaments im Jahr 2009 Alleinerbin geworden sei. Es sei daher zulässig, zunächst die rechtliche Klärung durch das Gericht abzuwarten. Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft konnte damit erst mit der Zustellung der Entscheidung des OLG beginnen, aus der sich für die Klägerin ergab, dass sie lediglich Miterbin nach der verstorbenen Erblasserin geworden war. Die Klage auf Zahlung des korrekt bezifferten Pflichtteils war daher erfolgreich.

Hinweis: Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beträgt grundsätzlich sechs Wochen. Sie kann sechs Monate betragen, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Ausschlagungsfrist selbst im Ausland aufgehalten hat.

 

 

Quelle: LG Wuppertal, Urt. v. 06.01.2023 – 2 O 298/19

zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 03/2023)

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