Jeder Rechtsanwalt hat verschiedene Aufklärungspflichten gegenüber seinen Mandanten. Diese Pflichten verschärfen sich noch, wenn ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden soll. Wenn ein Mandant den Ausführungen des Anwalts nicht folgen kann, ist er seinerseits verpflichtet, nachzuhaken, um seine Entscheidungen auf gesunder Basis zu treffen. Anderenfalls ergeht es ihm wie der Frau im folgenden Fall, den das Landgericht Lübeck (LG) beurteilte.
Eine Frau verklagte ihren Arbeitgeber, der ihr fristlos gekündigt hatte. Er hatte behauptet, sie habe sich krankschreiben lassen wollen, obwohl sie gesund gewesen sei. Dafür gebe es auch Zeugen. In der mündlichen Verhandlung schlug das Arbeitsgericht (ArbG) daher auch einen Vergleich vor, nach dem das Arbeitsverhältnis beendet sein sollte. Sonst müsse das Gericht die Zeugen des Arbeitgebers vernehmen und ein Urteil sprechen. In einer Unterbrechung des Gerichtstermins besprach die Frau sich mit ihrem Anwalt, der ihr ebenfalls zu dem gerichtlich vorgeschlagenen Vergleich riet. Ihr Lebensgefährte dolmetschte diese Besprechung. Im Anschluss schloss die Frau mit ihrem Arbeitgeber den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich. Als sie sich nach der Verhandlung erneut mit ihrem Anwalt besprach, war sie mit dem Vergleich aber wohl nicht mehr einverstanden. Sie gab an, sie spreche kaum Deutsch und habe den Ausführungen der Verhandlung nicht folgen können. Daher hätte der Anwalt die Hinzuziehung eines Dolmetschers beantragen müssen. Sie habe dem Vergleich nur zugestimmt, da der Anwalt behauptet hätte, dies sei die beste Lösung. Sie ist jedoch der Auffassung, sie hätte den Rechtsstreit gewonnen, da der Vorwurf nicht zutraf. Sie habe weiterarbeiten wollen und verlangte nun Schadensersatz von etwas über 4.000 EUR von ihrem Anwalt – ohne Erfolg.
Der Anwalt hatte auch laut LG alles richtig gemacht. Ein Rechtsanwalt muss seinen Mandanten vor dem Abschluss eines Vergleichs die damit zusammenhängenden Vor- und Nachteile so gewissenhaft wie möglich erklären. Dem Mandanten muss es damit möglich sein, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Voraussetzung dafür ist, dass er die Ausführungen und den Rat seines Anwalts auch versteht. Das alles war hier gegeben. Insbesondere lag keine Pflichtverletzung darin, der Frau zu dem Vergleichsschluss zu raten. Denn schließlich hatte das ArbG den Vergleich selbst vorgeschlagen. Auch musste der Anwalt keinen Dolmetscher hinzuziehen. Denn der Anwalt konnte gar nicht erkennen, dass die Frau der Verhandlung und der späteren Besprechung nicht folgen konnte.
Hinweis: Nerven Sie, haken Sie nach! Falls vor Abschluss eines Vergleichs Fragen oder Unklarheiten bestehen, sollten diese dem Rechtsanwalt gestellt werden – denn für deren Beantwortung ist er da.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 10.08.2023 – 9 O 93/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)