Bei welchen Vorgängen es sich auf den Wegen zur Arbeit und zurück um private, für die Wegezurücklegung nicht erforderliche Verrichtungen handelt, ist oft Dreh- und Angelpunkt bei Verkehrsfällen, die vor den Sozialgerichten landen. In diesem Fall war das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) damit betraut, herauszufinden, ob die Fahrtunterbrechung zum Betanken von der Wegeunfallversicherung abgedeckt ist oder eben nicht.
Die Klägerin wollte von ihrem Wohnort mit dem Motorrad zu ihrer etwa 18 km entfernten Ausbildungsstätte fahren, zuvor aber noch ihr Motorrad an einer in entgegengesetzter Richtung gelegenen Tankstelle betanken. Noch vor Erreichen der Tankstelle musste sie einem ihr die Vorfahrt nehmenden Pkw ausweichen. Die Klägerin stürzte und zog sich eine Knie- und Unterschenkelprellung zu, so dass sie mehrere Wochen arbeitsunfähig war. Nachdem die beklagte Berufsgenossenschaft als zuständige Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hatte und auch der Widerspruch der Klägerin erfolglos blieb, wandte sich die Frau an das Sozialgericht Karlsruhe (SG). Die Klägerin machte geltend, erst beim Anfahren festgestellt zu haben, dass der im Tank vorhandene Kraftstoff nicht ausreichen würde, um die Arbeitsstelle zu erreichen. Erstmals im Klageverfahren gab sie dazu an, sie habe nicht gewusst, dass ihr Bruder am Vorabend des Unfalls das Motorrad noch benutzt und so viel Kraftstoff verbraucht hatte, dass der Rest nicht mehr zur Fahrt zur Arbeitsstelle ausgereicht hätte. Die Notwendigkeit einer Betankung sei daher für die Klägerin unvorhersehbar gewesen, so dass dies ausnahmsweise zu einer Einbeziehung in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung führe. Das Zurücklegen des Weges – “auch” zur Tankstelle – sei eine Vorbereitungshandlung zum Erreichen der Arbeitsstätte.
Sowohl das SG als auch das LSG hielten die Klage jedoch für unbegründet. Beim Tanken handele es sich um eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung, die nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung stehe. Denn der Unfall habe sich nicht auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit ereignet, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem die Klägerin in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Dass die Klägerin erst beim Anlassen des Motorrads die – aufgrund der Fahrt ihres Bruders – nicht mehr ausreichende Tankfüllung bemerkt habe, begründe zwar einen außergewöhnlichen Umstand, der mit einem Benzindiebstahl vergleichbar sei – dieser führe jedoch nicht zu einer anderen Entscheidung. Es konnte nämlich nicht positiv festgestellt werden, dass die Tankfüllung tatsächlich nicht ausreichend gewesen wäre, die Arbeitsstelle zu erreichen. Doch selbst, wenn diese Behauptung stimme, liege es unter Risiko- und Einflusssphärengesichtspunkten allein bei der Versicherten, etwaige Fahrzeugnutzungen in geeigneter Weise zu unterbinden – noch dazu innerhalb der Familie.
Hinweis: Maßgebliches Kriterium für einen Wegeunfall ist es, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende sogenannte Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des unmittelbaren Wegs darauf gerichtet ist, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen oder nach deren Beendigung in den Privatbereich (das ist im typischen Fall die eigene Wohnung) zurückzukehren. Unterbricht die versicherte Person den grundsätzlich versicherten Hin- oder Rückweg, um eine private, für die Wegezurücklegung nicht erforderliche Verrichtung vorzunehmen, ist währenddessen kein Versicherungsschutz gegeben, sobald es am ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehlt.
Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.09.2024 – L 10 U 3706/21
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(aus: Ausgabe 03/2025)