Wenn Eltern uneins darüber sind, ob und wogegen ihr Kind geimpft werden soll, kann jeder beim Familiengericht beantragen, für diese Entscheidung die „Alleinentscheidungsbefugnis“ zu bekommen. Denn auch eine Routineimpfung ist eine „Angelegenheit von besonderer Bedeutung“, bei der beide Sorgeberechtigten zustimmen müssen. Und da auch mit Ende der Corona-Pandemie die Diskussion darüber nicht versiegt ist, musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) im Folgenden erneut der Thematik annehmen.
Hier beantragte der Vater eines Sechsjährigen die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Impfung des Kindes. Dabei ging es um die Immunisierung gegen das Rotavirus, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b (hib), Kinderlähmung, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. Ein ärztliches Attest bescheinigte, dass bei dem Kind keinerlei relevante körperliche Gesundheitsstörungen festgestellt werden konnten und auch dargelegte Darmbeschwerden hierbei keine Kontraindikation für die begehrten Schutzimpfungen darstellten würden. Die Kindesmutter hingegen wandte sich gegen den Antrag, da sie bereits bei ihrem älteren Sohn nach einer Sechsfachimpfung plus Meningokokkenimpfung schrilles Schreien sowie massives Überstrecken feststellen musste und sich ein neurologischer Impfschaden durch Einschlafstörungen angedeutet habe. Zudem sei es zum vorübergehenden Verlust motorischer Fähigkeiten gekommen. Sie machte geltend, dass bei ihrem Sechsjährigen verschiedene Kontraindikationen vorlägen, so dass er nicht gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) geimpft werden sollte.
Das erstinstanzliche Amtsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Etwas differenzierter sah es nun das OLG. Die allgemeine Handhabung in der Rechtsprechung ist es (z.B. bei Masern- und Corona-Impfungen), dass der Elternteil, der nach den Empfehlungen der STIKO impfen will, dafür die Alleinsorge bekommt. Das Veto des anderen stellt dann kein Hindernis mehr dar. Anders verhält sich dies aber beispielsweise bei Nachholimpfungen gegen das Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) oder Pneumokokken. Da hierzu keine Empfehlungen der STIKO vorliegen, kann auch keine Impfnotwendigkeit im Ausnahmefall geltend gemacht werden. Ohne Zustimmung des zweiten Elternteils kann in diesen Fällen nicht geimpft werden. Und genau hier trennt sich das OLG von der Vorinstanz und hob auf Beschwerde der Mutter den Beschluss auf, dem Vater die Entscheidungsbefugnis über eine Impfung des Kindes gegen Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) und Pneumokokken zu übertragen. Im Übrigen wurde die Beschwerde der Mutter aber zurückgewiesen.
Hinweis: In der ärztlichen Praxis wird die Zustimmung des zweiten Elternteils in der Regel unterstellt. Wer also gegen die Impfung ist, sollte den Kinderarzt aktiv darüber informieren.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.07.2023 – 6 UF 53/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)