Die Sonderrechte, die unsere Straßenverkehrsordnung (StVO) unter anderem Angehörigen der Polizei einräumt, sind kein Freifahrtschein. Ob unter diesem Gesichtspunkt ein Polizeibeamter, der bei einem Einsatz mit dem Dienstfahrzeug einen Unfall verursacht, von seinem Vorgesetzten für den Schaden in Regress genommen werden kann, musste das Verwaltungsgericht Berlin (VG) entscheiden.
Der Kläger, ein Polizeikommissar, wurde zu einem Einsatz in Berlin gerufen, wo ein „gegenwärtig stattfindender Einbruch“ gemeldet worden war. Also ging es los – nur eben „schneller, als die Polizei erlaubt“. So kam es, wie es kommen musste: zur Kollision mit einem anderen Pkw, bei der ein erheblicher Schaden entstand. Unmittelbar zuvor hatte das Polizeifahrzeug eine Geschwindigkeit von 92 Stundenkilometern erreicht; trotz starker Bremsung war die Kollision mit einer Geschwindigkeit von rund 30 bis 35 Stundenkilometern nicht mehr zu vermeiden. Der Polizeipräsident zog deshalb den Polizeikommissar zum Ersatz der Hälfte des am Einsatzfahrzeug entstandenen Schadens heran, weil der Polizist grob fahrlässig gegen seine dienstlichen Sorgfaltspflichten verstoßen habe. Hiergegen klagte der Polizist, jedoch erfolglos.
Das VG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hatte die ihm aus der StVO obliegenden Pflichten grob fahrlässig verletzt. Auch bei einer Inanspruchnahme von Sonderrechten dürfen die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur missachtet werden, wenn dies in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht. Daran hat sich der Kläger nicht gehalten. Angesichts der konkreten Verhältnisse am Unfallort war das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass in einer innerörtlichen Straße mit Wohnbebauung und leichter Rechtskurve werktags kurz nach 18 Uhr eine Geschwindigkeit von 92 Stundenkilometern zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug – und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks – zu verhindern. Diese gegebenen Umstände hätten vom Polizeikommissar größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit verlangt. Zudem habe der Einsatzzweck die Gefährdung Dritter nicht gerechtfertigt, da es nur um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch, nicht aber um eine akute Gefährdung von Personen gegangen sei.
Hinweis: Rechtsgrundlage des Bescheids ist § 48 Satz 1 Beamtenstatusgesetz. Danach haben Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Dem Kläger war grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt oder nicht beachtet. Das leuchtet im gegebenen Fall jedem ein, wenn er die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen anstellt.
Quelle: VG Berlin, Urt. v. 15.05.2024 – VG 5 K 65/21
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(aus: Ausgabe 08/2024)