Ist ein Unfallfahrzeug bei Eingang eines sogenannten Überangebots des Haftpflichtversicherers noch nicht verkauft worden, kann das dazu führen, dass der Geschädigte es nicht mehr zum niedrigeren Betrag verkaufen darf. Sonst dürfte der Versicherer auf der Grundlage des Überangebots abrechnen. Der Fall des Amtsgerichts Viechtach (AG) zeigt eine Ausnahme von dieser Regel auf.
Für Haftplichtversicherer gehören sogenannte Restwertbörsen zur täglichen Abwicklungspraxis, da die Verkaufsplattformen für Unfallfahrzeuge zur Minimierung des von der Versicherung zu tragenden Schadensaufwands beitragen. Es kommt häufig vor, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners dem Geschädigten ein höheres Restwertangebot unterbreitet als die Summe, die der beauftragte Sachverständige ermittelt hat. Ist das Unfallfahrzeug bei Eingang dieses höheren Restwertangebots noch nicht verkauft worden, kann das dazu führen, dass der Geschädigte es nicht mehr zum niedrigeren Betrag verkaufen darf, der Versicherer also bei der Abrechnung des Fahrzeugschadens das von ihm benannte höhere Restwertangebot berücksichtigt und somit im Endeffekt weniger zahlen muss als laut Schadensgutachten. Dies liegt daran, dass bei Totalschaden die Versicherung nur die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zahlt.
Hier hatte ein Autofahrer einen unverschuldeten Unfall, bei dem sein Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt. Das eingeholte Sachverständigengutachten ermittelte einen Restwert von 3.000 EUR. Im Rahmen der Schadensregulierung unterbreitete die Versicherung ein höheres Restwertangebot von etwas über 4.000 EUR. Der Geschädigte widersprach der hohen Restwertansetzung, da dem ihm präsentierten Angebot nicht zu entnehmen gewesen sei, wie genau der ihm offerierte Ankauf erfolgen sollte. Die Versicherung bestand jedoch auf den höheren Betrag, und deshalb ging die Sache vor Gericht.
Das AG gab dem Geschädigten recht. Wenn eine Versicherung ein Restwertangebot unterbreitet, müssen alle Bedingungen für den Verkauf genannt werden, die es dem Geschädigten klar machen, dass ihm keine Nachteile entstehen. Das war hier nicht der Fall gewesen, da keinerlei Angaben über den Übergabeort enthalten waren. Es habe nur geheißen: „Bei dem Verkauf entstehen keine Kosten. Der Kaufpreis wird auf Wunsch bei Übergabe in bar bezahlt.“ Damit habe der Geschädigte aber nicht erkennen können, ob der Wagen abgeholt werde oder ob er ihn bringen müsse. Es müsse laut AG aber klar geregelt sein, dass eine kostenlose Abholung erfolgen werde, da der Geschädigte keinerlei Aufwendungen haben dürfe. Insbesondere ergebe sich die Abholung des Fahrzeugs entgegen der Ansicht der beklagten Haftpflichtversicherung auch nicht aus der im Restwertangebot zugesicherten vollständigen Kostenübernahme. Denn die dahingehende Formulierung kann aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten in ebenso nachvollziehbarer Weise auch bedeuten, dass er zur Lieferung des Fahrzeugs verpflichtet sei und lediglich die ihm hierdurch entstehenden Kosten erstattet werden. Er sei daher berechtigt gewesen, das Fahrzeug zu dem im Gutachten genannten Preis zu verkaufen.
Hinweis: Das Oberlandesgericht München hatte in einer Entscheidung (Urteil vom 21.10.2011 – 10 U 2304/10) ausgeführt, dass für den Geschädigten die Annahme eines ihm präsentierten Restwertangebots mit keinerlei Zusatzbelastungen verbunden sein darf, das heißt, die kostenlose Abholung des Fahrzeugs muss verbindlich zugesagt sein.
Quelle: AG Viechtach, Urt. v. 11.05.2023 – 4 C 14/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)