Auch wenn das Abstammungsrecht grundsätzlich darauf abzielt, die biologische Abstammung abzubilden, räumt das Gesetz der „biologischen Wahrheit“ bei der Abstammung keinen unbedingten Vorrang ein, wenn die sozialen Beziehungen so sind, dass die Beteiligten das Bedürfnis der rechtlichen Bindung zueinander haben. Was aber, wenn die Mutter schon verstorben ist und daher nicht mehr zustimmen kann, um einem Mann den Wunsch zur rechtlichen Vaterschaft zu erfüllen? Ein Fall, der bis zum Bundesgerichtshof (BGH) ging, gibt Antwort.
Ein Mann wollte im Jahr 2021 eine bereits 58 Jahre alte Frau als seine Tochter anerkennen. Er gab die entsprechende Erklärung beim Notar ab, die 58-Jährige stimmte zu. Das Standesamt verweigerte aber die Eintragung und forderte eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mit Abstammungsgutachten. Auch zwei Gerichtsinstanzen fanden es wichtig, dass in einem solchen Fall die biologisch-genetische Abstammung tatsächlich geprüft werde.
Nicht der BGH: Durch den Tod der Mutter sei das Zustimmungserfordernis ersatzlos entfallen. Wenn das Kind zustimme – ab über 14 Jahren selbst, zuvor durch seinen gesetzlichen Vertreter -, genüge das. Bis zum Kindschaftsrechtsreformgesetz 1998 war die Zustimmung der Mutter ohnehin gar nicht vorgesehen. Das Verfahren lief früher allein zwischen dem Vater und dem Jugendamt ab. Durch die Einführung des § 1595 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch wollte der Reformgesetzgeber die Rechtsstellung der Mutter bei der Anerkennung der Vaterschaft stärken, indem er ihr ein eigenes Zustimmungsrecht einräumte. Man hatte erkannt, dass es der Mutter nicht ganz gleichgültig sein dürfte, wer rechtlicher Vater ihres Kindes ist. Stirbt diese jedoch vor der Entscheidung einer solchen Frage, erlischt auch das Zustimmungserfordernis.
Hinweis: Dass die biologische Wahrheit nicht wichtiger ist als die sozialen Beziehungen, ergibt sich auch daraus, dass ein Samenspender nicht rechtlicher Vater werden kann, wenn ein anderer Mann sozialer Vater des Kindes geworden ist und deshalb auch rechtlicher Vater sein möchte.
Quelle: BGH, Beschl. v. 30.08.2023 – XII ZB 48/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)